Einem US-amerikanischen Forscherteam ist es gelungen, potenzielle Schwachstellen des SARS-CoV-2-Virus aufzudecken. Greg L. Hura, Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory (Berkeley Lab), Andrzej Joachimiak vom Argonne National Laboratory und Hugh M. O'Neill vom Oak Ridge National Laboratory und ihre Mitarbeiter nutzen dabei die „Advanced Light Source“ (ALS) im kalifornischen Berkeley (siehe Infobox). In diesem Ultrahochvakuum-Teilchenbeschleuniger stehen an der Beamline 12.3.1 – eine von 46 Experimentierstationen am Beschleunigerring – zwei Bildgebungsverfahren zur Verfügung: die Röntgenkleinwinkelstreuung (SAXS) und die Protein-Kristallographie.
Mit der Röntgenkleinwinkelstreuung (SAXS) lassen sich Dichteunterschiede im Nanobereich einer Probe quantifizieren, zum Beispiel die Größenverteilung von Nanopartikeln, Größe und Form von Makromolekülen, Porengrößen, charakteristische Abstände von teilweise geordneten Materialien und vieles mehr. Erreicht wird dies durch die Analyse des elastischen Streuverhaltens von Röntgenstrahlen beim Durchgang des Materials. Je nach Winkelbereich, in dem ein deutliches Streusignal aufgezeichnet werden kann, ist SAXS in der Lage, Strukturinformationen über Dimensionen zwischen 1 und 100 Nanometer und über Wiederholungsabstände in teilweise geordneten Systemen von bis zu 150 Nanometer zu liefern.
Die Röntgenweitwinkelstreuung (WAXS) ist der SAXS ähnlich. Daher können mit den meisten Diffraktometern sowohl WAXS als auch begrenzte SAXS in einem einzigen Durchgang durchgeführt werden, indem eine Strahlblende hinzugefügt wird. Da der Abstand zwischen der Probe und dem Detektor bei WAXS jedoch kürzer ist, bieten die gewonnenen Daten eine höhere Auflösung.
Dies nutzten die Forscher und untersuchten die Protein-Maschinerie, die für die RNA-Replikation und -Übersetzung in Coronaviren – und vielen anderen Viren – verantwortlich ist. Diese Maschinerie wird als RNA-Transkriptionskomplex (RTC) bezeichnet.
Wie Uhrwerke und Gangschaltungen
Die Wissenschaftler vergleichen die Virus-Replikation mit dem Zusammensetzen einer mechanischen Uhr. „Man kann eine Feder nicht einsetzen, wenn der Rest der Maschinerie bereits in Position ist. Man muss die Feder in einem bestimmten Schritt des Zusammenbaus zusammendrücken und platzieren, sonst funktioniert das ganze Gerät nicht“, so Hurta. Eine große Rolle spielten dabei Nicht-Struktur- und akzessorische Proteine, so genannte Nsps. Sie existieren je nach Aufgabe in einer Vielzahl schnell wechselnder Formen, ähnlich einer Gangschaltung an einem Fahrrad, mit der sich das Rad schnell an wechselndes Terrain anpassen lässt. „In ähnlicher Weise können sich die Nsps nicht in einer zufälligen oder chaotischen Reihenfolge an ihren Platz bewegen, sie müssen einer bestimmten Reihenfolge von Operationen folgen.“
Das Team hat herausgefunden, wie eine der Nsps die RNA-Moleküle erkennt, auf die sie einwirkt, und wie sie lange Stränge kopierter RNA in die richtige Länge schneidet.
Die Kombination von Informationen aus verschiedenen Strukturtechniken und Berechnungen sei der Schlüssel, um eine alternative Virenverteidigung zu entwickeln, erklärt O'Neill. Aufgrund der Ähnlichkeit der RTC-Proteine zwischen den verschiedenen Virusstämmen geht das Team davon aus, dass Medikamente, die zur Blockierung der RTC-Aktivität entwickelt werden, nicht nur bei allen COVID-19-Varianten, sondern auch bei anderen Virusinfektionen wirken könnten.
Infobox
Die „Advanced Light Source“ (ALS) ist eine Forschungseinrichtung des Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley, Kalifornien. Sie ist eine der weltweit hellsten Quellen für ultraviolettes und weiches Röntgenlicht. Letzteres besitzt eine deutlich geringere Photonenenergie als harte Röntgenstrahlung und ermöglicht damit die Darstellung von Festkörpern als homogenes, „undurchleuchtetes“ Medium. Außerdem ist die ALS die erste Synchrotronlichtquelle der „dritten Generation“ in ihrem Energiebereich.
Die ALS bietet mehrere extrem helle Quellen für intensives und kohärentes kurzwelliges Licht, das Forscher aus aller Welt für wissenschaftliche Experimente nutzen. Sie wird vom US-Energieministerium (DOE) finanziert und von der Universität von Kalifornien (UC) gemanagt.
So funktioniert die ALS
Sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegende Elektronenpakete werden von Magneten im Ultrahochvakuum des ALS-Speicherrings auf eine nahezu kreisförmige Bahn gezwungen. Zwischen diesen Magneten gibt es gerade Abschnitte mit Dutzenden von Magneten mit wechselnder Polarität, die sogenannten „Undulatoren“. Sie zwingen die Elektronen auf eine slalomartige Bahn. Unter dem Einfluss der Abweichungen von der geraden Bahn werden elektromagnetische Strahlen ausgesendet, die vom infraroten über den sichtbaren und ultravioletten Bereich bis hin zu Röntgenwellenlängen reichen. Die resultierenden Strahlen lassen sich über abzweigende Röhren – den Beamlines – zu den Instrumenten der Experimentierstationen führen.
Die ALS verfügt über ein komplexes Vakuumsystem mit einer Gesamtlänge von mehr als einem Kilometer an Vakuumrohren für die Elektronen- und Photonenstrahlen. Der Vakuumdruck in den Strahlrohren beträgt 100 mbar an einigen Experimentierstationen und geht bis zu 1x10-11 mbar im Speicherring.
Notwendig ist der extreme Unterdruck aus einem ganz einfachen Grund: Wären die Rohre normal belüftet, würden die Elementarteilchen unmittelbar nach ihrem Austritt aus der Elektronen- beziehungsweise Photonenquelle mit den Luftmolekülen kollidieren und mit diesen interagieren. Zu einer beschleunigten Strahlung würde es gar nicht erst kommen.
Um bestimmte Abschnitte des Hoch- und Ultrahochvakuumbereich für Wartungsarbeiten hermetisch abdichten zu können, werden VAT Sektorventile eingesetzt. Mit ihnen lassen sich bestimmte Abschnitte des Hoch- und Ultrahochvakuumbereichs hermetisch abdichten und damit das Hoch- und Ultrahochvakuum in den anderen Bereichen erhalten. Außerdem kommen VAT Schnellschlussventile zum Einsatz, die im Fall von Leckagen betroffene Ring- oder Röhrenabschnitte schnell abtrennen, so das Vakuum erhalten und eine eventuelle Kontamination durch einbrechende Luft verhindern.
Bei den eingesetzten Vakuumventilen handelt es sich um VAT Ganzmetallventile. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie vollkommen ohne Elastomerdichtungen funktionieren. Die Abdichtung erfolgt hier mit Metall auf Metall – entsprechend präzise sind die Oberflächen der Dichtungsflächen gefertigt. Elastomerdichtungen, die häufig auch bei Ventilen im Vakuum eingesetzt werden, zersetzen sich sehr schnell unter den in den Beamlines und im Speicherring herrschenden hohen Temperaturen und der energiereichen Strahlung.